Ironman Riederer wird Fabrikarbeiter

So aufgereiht sieht man sein Hab und Gut selten. Diese lange Reihe von vollgepackten Holzpaletten ist im Fall von Sven Riederer Sinnbild für den Stillstand. «Das ist mein ganzes Eventbusiness», sagt er, als er darauf deutet. Eigentlich sollten die Absperrbanden, Zielbogen, Teilnehmergeschenke und was es sonst noch alles braucht um einen Sportwettkampf zu organisieren, in diesen Wochen nicht im dritten Stock eines Industriegebäudes in Dübendorf stehen. Sondern in der Schweiz unterwegs sein.

 

Riederer organisiert mit seinem Unternehmen MooveMee schweizweit Triathlons, 14 insgesamt. Die Mehrzahl wurde bereits ganz abgesagt, bei einigen wenigen, besonders seinen Aushängeschildern in Uster, Davos und Uri, hofft er noch auf die Durchführung im August und September.

 

Seine fünf Angestellten sind deshalb auf Kurzarbeit. Ganz im Gegensatz zum Chef. Dem wird nicht langweilig. Das war schon in den vergangenen Jahren so, das ist jetzt nicht anders. Bis vergangenen Juli war Riederer der Profitriathlet, der nebenher auch selber noch Wettkämpfe organisierte. Nun ist er der Ex-Profi, der Triathlons organisiert und daneben auch noch eine grosse Umnutzung einer Industrie-Immobilie verantwortet. Fabrik11 heisst das Projekt an der Ringsstrasse, die vom Zürcher Stadtrand in Stettbach nach Dübendorf führt.

 

Dass die Fabrik11 mit Sport zu tun hat, überrascht nicht weiter. Die Melange, die Riederer anstrebt, ist aber neu. «Jedenfalls habe ich in Europa nichts Vergleichbares gefunden», sagt er beim Rundgang durch die Halle. In dieser wird gehämmert, geschweisst und gebohrt. Im oberen Stock sind die Handwerker fast fertig mit ihren Arbeiten. Das ist auch nötig: Der Co-Working-Space mit 42 Arbeitsplätzen wird am 3. August eröffnet.

 

Eine Etage tiefer ist noch alles im Rohbau. Abgesehen von einigen Krafttrainingsmaschinen, die fertig montiert in einer Ecke stehen, deutet noch nichts auf Sport hin. Das wird sich in den kommenden Monaten ändern. Im Oktober soll das Multisport-Fitnesscenter fürs Publikum bereit sein. Als perfekten Kunden schwebt Riederer der Freiberufler vor, der tagsüber oben seiner Arbeit nachgeht und anschliessend unten ein Training absolviert – der Eintritt ist in der Miete des Arbeitsplatzes inbegriffen.

 

Natürlich reichen die 42 potenziellen Co-Worker nicht, um die riesige Fläche zu betreiben. Diese soll noch viel mehr Sportbegeisterte anziehen. Riederer will diese schaffen, indem er ein Angebot präsentiert, das man in dieser Breite nicht kennt. Da soll Fussball neben Badminton gespielt werden, dahinter gesprintet, bankgedrückt oder getanzt, oben die Muskeln geknetet und wieder gelockert und beim Eingang auf ein erfolgreiches Training angestossen werden. «Dass all diese Sportkulturen nebeneinander existieren können, das wird eine Herausforderung», sagt Riederer.

 

Die Grundidee zur Fabrik11 trug Riederer schon eine Weile mit sich, als er in einem Trainingslager in Spanien den Immobilienentwickler Thomas Götz kennenlernte und damit den idealen Partner für die Umsetzung fand. Zusammen stemmen sie dieses Projekt, bei dem 3,5 Millionen Franken in den Umbau investiert wird – wobei der Betrag laut Riederer ohne den zahlreichen Partnerschaften und guten Kontakten des Duos noch deutlich höher wäre.

 

Ursprünglich hätte die Fabrik11 schon 2019 eröffnet werden sollen. Heute sind die Initianten froh, dass die behördlichen Prozesse ihre Zeit brauchten. So war die Coronakrise für die Fabrik11 kein Rückschritt, im Gegenteil: Die Umbauarbeiten gingen ungebremst voran.

 

Ungebremst passt auch zu Riederers Start ins zweite Berufskapitel. Am Ironman Switzerland wurde er im letzten Wettkampf seiner langen Karriere als Profitriathlet Zweiter. Das Ticket für die WM auf Hawaii liess ihn kalt. Die Profizeit hätte zuletzt keinen Tag länger mehr dauern dürfen. «Vor Zürich zählte die Zahl der Trainings rückwärts. Und danach machte ich lange gar nichts mehr», sagt Riederer. «Aber Vollgas ging es trotzdem weiter – im neuen Job.»

 

Mental fehlte ihm der Sport nicht. Sein Körper sah das anders – und meldete sich mit Rückenschmerzen. Mittlerweile bewegt sich Riederer wieder regelmässig, kickt bei den Senioren des FC Wallisellen. «Ich mache querbeet Sport, worauf ich gerade Lust habe. Nicht mehr trainieren zu müssen, das ist ein enormer Luxus, eine riesige Lebensqualität. Fast wie 365 Tage Ferien im Jahr.»

 

Da spricht keiner, der seiner Karriere nachhängt. Das Büro daheim fand Riederer kurz nach seinem Rücktritt von seiner Frau geräumt – inklusive aller Memorabilien. Zumindest die Bronzemedaille von Athen nahm er dann vom Keller wieder hoch in die Wohnung. Wobei der nüchterne Blick auf sein Sportlertun auch als Aktiver zu ihm gehörte. Mit 23 gewann er in Athen Bronze – rückblickend war es sein früher Karrierehöhepunkt. «Bereits damals kam mir danach der Gedanke: ‹Was mache ich später?›»

 

An Ideen mangelte es ihm nicht. Er versuchte sich als Sandwichproduzent, mit Sportriegeln ebenfalls. Dann wollte er einen Onlinemarktplatz für Sportartikel aufbauen, ehe er mit eigenen Sportevents seine Nische fand. Und mit der Fabrik11 sein Herzensprojekt. «Meine Kompetitivität habe ich 1:1 vom Sport in die Arbeitswelt mitgenommen. So, wie ich mich auf Olympia vorbereitet, versuche ich jetzt auch der Beste zu sein. Weil: Niemand hat auf dieses Projekt gewartet.»

 

Der 39-Jährige schwärmt auch über den Wechsel vom Einzelsportler zum Teamplayer. «Nun steht das Produkt im Mittelpunkt, nicht mehr ich als Person», sagt er – ist sich zugleich aber bewusst, dass die Fabrik11 zumindest zu Beginn sehr wohl auch von seinem Namen leben wird.

 

Das geht bis zur Bezeichnung «Fabrik11». Denn die 11 erhielt die Industriehalle, in der früher Zahnräder hergestellt wurden, von Riederer. Der hatte einst als Jungschwimmer den Garderobenspind mit dieser Nummer gewählt, weil ihm der beste Schwimmer seiner Trainingsgruppe die gewünschte 1 weggeschnappt hatte. «Da sagte ich mir: Lieber die Doppel-1 als die 2.»

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